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Belinda Grace Gardner: Ihr Essay Die Verfahren der Liebe1 , der in Zusammenhang mit dOCUMENTA (13) 2012 veröffentlicht wurde, weist zurück auf frühere Gedanken zu einer Politik der Liebe. Was brachte Sie dazu, sich mit Liebe als ein politisches Konzept zu befassen?

In den gemeinsamen Veröffentlichungen mit Toni Negri, definitiv schon in Empire, versuchten wir damit zu experimentieren, was Liebe für Politik bedeuten könnte. Wie es dazu kam, lässt sich vielleicht am besten mit einigen Verweisen aus der revolutionären Tradition beantworten. Dazu eignet sich ein recht bekanntes Zitat von Che Guevara aus seinem Essay „Der Sozialismus und der Mensch in Kuba“, in dem er feststellt, dass wahre Revolutionär*innen von Gefühlen der Liebe bewegt werden. Es gibt also innerhalb der kommunistischen Tradition eine Vorstellung von Liebe, die um Solidarität und Widerstand kreist. Für einen wahren Revolutionär wie Che umfasst dies ein Liebesgefühl, das nicht dem Menschen in einem übergeordneten Sinn gilt, sondern den Mitstreiter*innen im Widerstandskampf. Es ist ein Bündnis. Noch interessanter für uns könnten Passagen im Werk des jungen Karl Marx sein, in denen er eine Vorstellung des Kommunismus entwickelte, die auf den Affekten basiert.

In diesen frühen Pariser Manuskripten von 1844 erläutert er, dass der Kommunismus eine Transformation der Sinne herbeiführen wird. Mit den Sinnen meint er all unsere Organe der Interaktion miteinander und mit der Welt. Er nennt dafür eine lange Liste, darunter die Begriffe, die wir üblicherweise mit den fünf Sinnen verbinden, aber auch weitergefasste Konzepte, und zählt unter anderem Hören, Denken, Fühlen und Lieben auf. Dies alles wird durch eine kapitalistische Logik und die Verhältnisse des Privateigentums definiert, nach denen wir ebenfalls operieren. So überlegt er, was es bedeuten könnte, die Sinne einschließlich der Liebe neu zu erfinden, und zwar nicht auf der Basis des Eigentums, sondern auf der Basis dessen, was ich als Gemeinwesen bezeichnen würde – und dies wäre dann Kommunismus.

Oft wird dies von denen, die sich mit Marx beschäftigen, als Marx‘ romantische Phase oder etwas in der Art betrachtet. Ich sehe das ganz anders. Es ist sehr praxisorientiert, wenn auch etwas rätselhaft. Marx sagt im selben Text, dass das Privateigentum uns dermaßen hat verdummen lassen, dass wir nur dann etwas als das Unsere ansehen können, wenn wir es besitzen. Das ist eine interessante Feststellung. Was würde es bedeuten, etwas außerhalb von Eigentumsfragen als unser Eigentum zu betrachten? Das ist schon eine direkte Bezugnahme auf die Liebe, ein Versuch, sowohl auf der zwischenmenschlichen und intimen Ebene als auch auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene zu überlegen: Was würde es bedeuten, etwas als unseres zu betrachten, ohne es zu besitzen? Und was würde es bedeuten, unsere gemeinschaftlichen Organe in der Welt neu zu erfinden, ohne sie in der Logik des Eigentums zu begründen?

Wie aber kann etwas sowohl intim, oder privat, und öffentlich sein? Wie kann man zugleich etwas besitzen und nicht besitzen? Das erscheint mir paradox.

Ich möchte hier zwei verschiedene Paradoxe unterscheiden. Zum einen, glaube ich, dass es oft hilfreich und nützlich ist, über die Liebe, das Wesen und die Eigenschaften der Liebe in der intimen Sphäre und in der öffentlichen oder sozialen Sphäre separat nachzudenken. Doch stimme ich Ihnen darin zu, dass die beiden Diskussionen in gewisser Weise parallel laufen. Man sollte sie also trennen. Aber ich würde sagen, dass die Eigenschaften einer produktiven, positiven, vielleicht sogar revolutionären Auffassung von der Liebe in diesen beiden Bereichen durchaus ähnliche Merkmale aufweisen. Das zweite scheinbare Paradox ist weniger ein Paradox, als vielmehr eine begriffliche Schwierigkeit. Deshalb gefällt mir der Satz, den ich von Marx anführte, auch so gut, in dem er sagt, dass das Privateigentum uns so hat verdummen lassen, dass wir unsere Bindungen nur in Bezug auf Besitz begreifen können. Das bedeutet nicht, dass wir uns darüber hinaus keine anderen Bindungen vorstellen könnten oder dass dies nicht möglich sein sollte. Es ist nur so, dass wir aufgrund der kapitalistischen Ideologie gewissermaßen Scheuklappen tragen. Und hier ist ein weiteres Beispiel. Gedanklich hat Alexandra Kollontai, die frühe sowjetische Revolutionärin und Politikerin in der Anfangszeit der Sowjetunion, zu Marx eine direkte Verbindung.

Kollontai nimmt die Vorstellung ernst, dass wir die Liebe neu erfinden und bürgerliche Formen der Liebe, die auf Privateigentum beruhen, in Frage stellen müssen. Sie spricht auf diese Weise von der Paarbeziehung. Ich denke, es ist auch heute noch so, dass die Paarbeziehung in der Regel meistens als Besitzverhältnis begriffen wird. Du bist mein und ich bin dein. Die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse verstärken den Besitzanspruch. Es ist daher, denke ich, nicht schwer zu erkennen, dass der Besitzcharakter dieser intimen Bindungen transaktionell ist. Aber Sie haben völlig recht, man könnte den transaktionellen Charakter solcher Bindungen auch in Frage stellen. Deshalb sagt Kollontai, dass wir die Liebe außerhalb von Besitzverhältnissen neu erfinden müssen, und versucht herauszufinden, wie eine solche neue Liebe beschaffen sein könnte. Ich halte dies für eine interessante und enorme Herausforderung. Wir sprechen hier über die intime und private Sphäre, die meines Erachtens Analogien in der politischen Sphäre aufweist. Aber bisher sehe ich dies nicht als Paradox, sondern als Herausforderung für unser derzeitiges Denken. Wir sind, wie Marx sagt, verdummt, und das ist im Wesentlichen auch das, was auch Kollontai meint, wenn sie sagt, dass wir anders denken und handeln müssen. Wir müssen das, was Marx unsere Sinne nennt, unsere Organe der Interaktion miteinander in der Welt, neu erfinden.

Ein Problem, das ich hier sehe, ist, dass man das Private nicht wirklich von der öffentlichen Sphäre trennen kann, was auch in dem Sinn zutrifft, dass die Konstruktionen der Liebe, mit denen wir in unseren kapitalistischen Gesellschaften operieren, historisch auf bestimmte Weise entstanden und untrennbar mit dem sozialen Gefüge dieser Gesellschaften verbunden sind. Wie ist es also möglich, etwas neu zu erfinden, das so stark mit diesem sozialen Gefüge verwoben ist?

Ganz genau. Das ist eine große Herausforderung. Das heißt nicht, dass wir nicht an all die Traditionen gebunden sind, aus denen wir hervorgegangen sind. Sie sind ein schweres Gewicht. Man könnte sogar sagen, sie lasten „wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden“2 . Doch würde ich die Uniformität dieser Tradition auch nicht überbewerten. Zum einen gibt es in der Geschichte des europäischen Denkens viele Gegenbeispiele dafür, die Liebe anders zu denken. Wir können diese auch an anderer Stelle finden.

Angesichts der Tatsache, dass die Liebe so eng mit Fragen der Intimität verbunden ist, ist Ihr Konzept der Liebe als etwas, das Auswirkungen auf die Gesellschaft haben und somit im kollektiven Sinn Veränderung herbeiführen könnte, sehr spannend. Was aber ist eigentlich dieses Ding, das man Liebe nennt?

Was ist es? Lassen Sie mich versuchen, dies auf zweierlei Weise zu beantworten. Ich stimme zu, dass Liebe schwer definierbar ist und viele Formen annehmen kann, aber im Grunde genommen ist Liebe ein starkes Bündnis, ein Bündnis, das stärker ist als der Tod. Wir sprechen daher in der intimen und der sozialen Sphäre über das Wesen von Bindungen, die über die Rationalität und über Eigeninteressen hinausgehen oder die sich auf andere Weise mit Rationalität und Eigeninteressen verflechten. Die zweite Sache, die ich bezüglich der Frage, ob Liebe eine transformative politische Kraft sein kann – was ich bejahen würde – als sehr wichtig erachte, ist, dass man mit dem Negativen anfangen muss, weil Liebe auf sehr schreckliche Weise politisch operieren kann und dies heute auch bereits tut.

Vor einigen Jahren entdeckte ich einen Essay von Sara Ahmed mit dem Titel „In the Name of Love“3 , den ich sehr aufschlussreich fand. Sie forschte über so genannte Hassgruppen, im Wesentlichen migrationsfeindliche und rassistische Gruppen. Dabei kam sie schnell zum Ergebnis, dass sich die Gruppen, vielleicht wenig überraschend, selbst nicht als Hassgruppen sahen. Sie betrachteten sich selbst als Liebesgruppen. Aber sie definieren Liebe als eine Liebe zu ihresgleichen. Nach dem Motto: Wir hassen keine nicht-weißen Menschen – wir lieben lediglich weiße Menschen. So lautete die Antwort, die sie von ihnen erhielt. Darauf kann man auf verschiedene Weise reagieren. Zum einen könnte man sagen, das ist aber keine Liebe. Dann stößt man allerdings auf das Problem, das Sie bezüglich der Definition von Liebe aufwarfen. Eine weitere Art damit umzugehen, und ich denke, dies ist auch Sara Ahmeds Ansatz, wäre zu sagen: Gut, lasst uns nicht über Liebe in der Politik sprechen – das ist gefährliches Terrain. Liebe kann in der Politik furchtbar sein, lasst uns die Politik freihalten von Liebe. Hannah Arendt4 hatte ebenfalls diese Vorstellung. Ein dritter Weg, den man einschlagen könnte, und dies wäre meiner, ist, dass wir, besonders in der politischen Sphäre, zwischen verschiedenen Arten der Liebe differenzieren sollten, um dann einige zu bejahen und andere zu verneinen. So wird Liebe nicht zu einer einzigen Sache. Eine Politik der Liebe ist keine pauschale Mobilisierung der Liebe. Es geht eher darum, Liebe in der Politik als ein Feld des Kampfes, des Widerstreits oder der Auseinandersetzung zu betrachten: Dies ist deine Vorstellung von Liebe, dies in meine Vorstellung von Liebe, und es ist ein Ringen zwischen diesen beiden Vorstellungen der Liebe.

Deshalb würde ich aus dieser Perspektive dazu neigen, die Rassisten zu akzeptieren, die behaupten, dass sie nach Vorstellungen der Liebe handeln. Ich würde akzeptieren, dass dies Liebe ist: Sie nennen es Liebe, ich bin bereit, sie dies Liebe nennen zu lassen. Aber ich würde versuchen, das Spezifische dieser Form der Liebe zu charakterisieren und zu bekämpfen. In ihrem Fall geht es um Liebe zur Gleichartigkeit, zum Eigenen und zum Gleichartigen. Was dem entgegensteht, ist eine Vorstellung von Liebe, die auf dem Anderen, auf Vielfalt oder Verschiedenheit beruht. Auch die Traditionen halten zumindest einige Möglichkeiten bereit, den Begriff der Nächstenliebe als eine Liebe zur Alterität zu betrachten. Ich bin sicher, dass die Hassgruppen Nächstenliebe als Liebe für Personen in ihrem unmittelbaren Radius, die genauso sind wie sie, auffassen würden. Stattdessen würde ich Nächstenliebe als Liebe zu denen verstehen, die sich von mir unterscheiden, oder worüber Walt Whitman spricht, als Liebe zu einem Fremden. Worauf ich hinaus will, ist, dass es widerstreitende Formen der politischen Liebe gibt, die man erkennen und gegen die man angehen muss. Ich bin nicht bereit das, was ich als Politik der Liebe verstehe, aufzugeben, nur weil hasserfüllte und schreckliche Dinge in deren Namen geschehen. Ich denke vielmehr, man muss sie bekämpfen.

In dem 2011 veröffentlichten Essay „For Love or Money“5 , in dem Sie die marxistische Idee diskutieren, auf welche Weise man die Liebe aus der Idee des Eigentums herauslösen könnte, beschreiben Sie, wie die Macht des Geldes zur Herstellung von Bindungen funktioniert, und dass diese Idee ohne den Aspekt des Eigentums auf die Liebe übertragen werden könnte. Wie umgeht man das Problem des Eigentums, wenn man darüber nachdenkt, dass Liebe auf der Ebene der Macht ähnlich operiert wie Geld?

Sie funktionieren auf die gleiche Weise nur in dem Sinn, dass Geld auf eine bestimmte Weise Bindungen, soziale Bindungen, verstärkt. Liebe soll ebenfalls soziale Bindungen schaffen und aufrechterhalten, aber natürlich auf andere Weise als Geld dies tut. Es liegt im Wesen der Liebe als soziales Konzept, eine schon lange bestehende Auffassung, dass sie die stärkste aller Bindungen ist. Wenn Liebe die stärkste Art der Bindung ist, muss sie politische und soziale Relevanz haben. Und diese stärksten Bindungen beruhen nicht unbedingt auf genetischen Beziehungen, sie beruhen nicht unbedingt auf Eheversprechen. Sie können auf anderen Dingen beruhen, und deshalb fand ich die Aussage von Che Guevara auch so ergiebig. Sie können auf einem gemeinsamen politischen Kampf basieren: Dies ist eine weitere Möglichkeit, wie Bindungen funktionieren können.

Als Antrieb für Transformation und Dauer ist Liebe nicht nur etwas, bei dem man auf das Andere trifft, sondern sie verändert einen selbst auch. Das halte ich für einen wichtigen Punkt in Ihrem Konzept einer Politik der Liebe.

Dem würde ich völlig zustimmen, insofern wir vielleicht zwei Kriterien haben, um Liebe in diesem sozialen und politischen Kontext zu verstehen. Das eine ist die Dauer, die bleibende Eigenschaft der Bindungen, das zweite ist ihr transformativer Charakter, wie Sie sagten. Diese beiden Aspekte der Liebe sind im Grunde weithin bekannt, da die Liebe einen immer verändert. Sonst ist es keine wirkliche Liebe. Aber das gilt natürlich auch für die politische Sphäre. Diese Auffassung der Liebe im Rahmen politischer Aktionen ist wohl allen Aktivist*innen vertraut. Man erkennt, wie man durch politische Begegnungen und diese Art der Transformation verändert wird. Wenn wir diese beiden Dinge zusammennehmen, haben wir, denke ich, schon eine relativ gute Grundlage, um über Liebe im politischen Umfeld und über die Dauer von Bindungen und Transformation nachzudenken. Ich möchte nicht von einer Transformation des Selbst sprechen, da diese nicht auf individuelle Weise stattfindet. Aber wir werden in unseren gemeinsamen politischen Begegnungen transformiert.

Interessant ist auch, dass es eine dritte Kategorie gibt, wenn Sie sagen, dass politische Liebe sowohl auf Vernunft als auch auf Leidenschaft beruht. Die Idee der Vernunft läuft der traditionellen Vorstellung von Liebe zuwider, die besagt, dass Liebe etwas ist, das einen von außen trifft, ein Gefühl, das man nicht greifen kann, wo die Leidenschaften überhandnehmen und eine massive innere Erschütterung auslösen. Der Aspekt der Vernunft fehlt in diesem Konzept der Liebe. Inwiefern ist Vernunft entscheidend für eine Politik der Liebe?

Ich möchte kurz einen Schritt zurückgehen, um etwas zu unterstreichen, was Sie bereits gesagt haben und was ich für sehr wichtig halte. Es ist nicht sinnvoll, über Politik ausschließlich in Kategorien der Vernunft und des Nutzens zu denken. So können wir unsere Politik, selbst unsere transformative Politik, heute nicht mehr erklären. Vernunft und Nutzdenken allein sind kein adäquater Rahmen, um über Politik nachzudenken. Wir müssen Politik auch hinsichtlich der Leidenschaften und der Affekte betrachten. Das ist es, was die Politik anderer Menschen, ebenso wie unsere eigene, antreibt, insofern ist es eine Art analytisches Werkzeug. Und das zweite Moment ist die Frage, auf welche Weise wir die Leidenschaften und Handlungen, oder die Vernunft und die Emotionen, eben nicht als zwei getrennte Kategorien, sondern als miteinander interagierende Phänomene verstehen können. Ich denke, auch hier ist die Liebe ein hilfreiches Konzept, denn es gibt eine lange, substanzielle philosophische und politische Tradition, die die Liebe auf diese Weise betrachtet. Baruch Spinoza ist in dieser Hinsicht ein ausgezeichnetes Beispiel, auch deshalb, weil man, wenn man über Liebe und Politik spricht, immer wieder auf die Gefahr stößt, dass Liebe als sentimentale Angelegenheit gesehen wird, bei der einem Pop-Songs in den Sinn kommen, oder etwas in der Richtung. Spinozas Grundkonzept zufolge ist Liebe Freude verbunden mit der Vorstellung einer äußeren Ursache6 . Und Freude, wiederum, ist die Steigerung unserer Fähigkeit zu denken und zu handeln. So könnte man dies vielleicht in unser heutiges Verständnis der Liebe übersetzen, wobei die Freude in der Erweiterung unserer Denk- und Handlungsfähigkeit besteht.

Damit will er sagen, dass man sich zur Wiederholung dieser Art von Begegnung mit entsprechenden Menschen zusammenschließen sollte. Wenn man also eine Arbeitsgruppe, ein Kollektiv oder ein anderes intellektuelles Projekt mit Menschen betreibt, die das eigene Denkvermögen intensivieren, ist das eine Art von Liebe. Und diese muss dauerhaft sein. Sie hat auch einen transformativen Charakter, insofern das Zusammensein, das Zusammendenken mit dieser Gruppe von Menschen einen verwandelt. In diesem Fall erfordert die Liebe, dass ich diese Menschen in mein Leben integriere und auf diese Weise mit ihnen eine Bindung schaffe. In Spinozas Sinn steigert Freude die Fähigkeit, zu denken und zu handeln. Das scheint mir bereits ein geeigneter Begriff von Liebe zu sein. Für Spinoza gibt es innerhalb dieses Prozesses keinen Unterschied zwischen Vernunft und Gefühl. Er ist vollkommen von der Vernunft durchwirkt und vollkommen in die Gefühle oder Leidenschaften eingebunden. Ich wollte dieses Beispiel anführen, weil es mir gefällt, aber auch, weil es die Idee der irrationalen Liebe, die ich nicht bereit bin zu akzeptieren, ein wenig destabilisiert.

Dies ist allerdings ein weitverbreitetes Klischee.

Es ist ein Gemeinplatz, und um noch einmal kurz auf die durchaus linksstehenden Denker*innen zurückzukehren, die meinen, dass die Liebe aus der Politik ausgeklammert werden sollte, so denken auch sie in diese Richtung: dass man die Liebe, weil sie irrational ist und nur Chaos verbreitet, aus der Politik ausschließen sollte. Ich schätze, dies ist die Argumentation dieser Autor*innen.

Wenn man Politik umgekehrt als etwas Negatives wahrnimmt oder als etwas Schlechtes betrachtet, als eine Form von Kontrolle oder Machtspiel, wird sie zu einem Phänomen, das man im Feld der Liebe nicht wirklich haben möchte.

Auf der einen Seite gibt es also Menschen, die die Politik vor der Liebe schützen wollen, und auf den anderen Seite gibt es solche, die die Liebe vor der Politik schützen wollen. Ich verstehe, was Sie meinen.

Das ist vielleicht auch der Grund dafür, warum die Verbindung von Liebe und Politik so brisant ist, aber auch die Kraft hat, Veränderungen in der sozialen Sphäre herbeizuführen. Und doch muss es, aus meiner Sicht, ein gemeinsames Ziel geben, damit ein politisches Verständnis von Liebe als Katalysator für Transformation dienen kann.

Ich denke, es gibt in einer Bewegung vielfältige Ziele. Mich interessieren primär die Verbindungen zwischen ihnen und die daraus entstehenden sozialen Beziehungen.

Muss es nicht eine gemeinsame Grundlage oder einen Common Sense, eine gemeinsame Idee als Bindungsmittel geben? Wie können sich Kollektive über unterschiedlichste Grenzen hinweg organisieren, um tatsächlich einen Wandel herbeizuführen? Und wie kann Transformation so umfassend angegangen werden, wie es, beispielsweise, für die Rettung des Planeten nötig wäre? Ich denken an ein völliges Neudenken der Art und Weise, wie wir mit unserer Liebe nicht nur zueinander, zu unseren Mitmenschen, sondern auch zu unserer Nachbarin, der Erde, umgehen: Wie schaffen wir das? Heute haben wir die Möglichkeit, zumindest in der virtuellen Realität, uns mit Menschen aus aller Welt zu verbinden. Aber ich würde behaupten, dass wir doch das Gefühl haben müssen, dass uns auf die eine oder andere Weise etwas miteinander verbindet.

Aufgrund der Traditionen, denen ich angehöre, würde ich das, wovon Sie sprechen, eher im Zusammenhang mit Internationalismus und dem Internationalismus sozialer Bewegungen betrachten. Darin sehe ich heute größere Möglichkeiten. Wenn ich an Bewegungen wie der „Frau, Leben, Freiheit“ (Jin, Jiyan, Azadî) Bewegung im Iran, an die revolutionären Bündnisse in Sudan, oder feministische Bewegungen in Lateinamerika denke, dann scheint mir die Verbindung zwischen diesen Kämpfen sehr viel Kraft zu haben. Der Gedanke, den Toni und ich hatten, als wir vor so langer Zeit Empire schrieben, war, dass das Kapital die Globalisierung ja nicht erfunden hat. Vor der kapitalistischen Globalisierung gab es bereits den proletarischen Internationalismus. Die kapitalistische Globalisierung war in gewisser Weise darauf eine Reaktion. Vielleicht können wir also über die Traditionen internationaler oder transnationaler Bündnisse des sozialen Kampfs, die darüber hinausgehen, nachdenken und sie wieder aufleben lassen. Ich denke dabei nicht so sehr auf einer individuellen Ebene. Es ist mehr so, dass es an jedem Ort spezifische Kämpfe gibt, die natürlich sehr unterschiedliche Charakteristika und Ziele haben, aber die dennoch die gemeinsame Grundlage oder den gemeinschaftlichen Befreiungsgedanken, den sie teilen, erkennen.

Wir sprachen anfänglich über Eigentum in Bezug auf intime Bindungen, über das Paar, die Familie, wie sie durch Eigentum definiert werden und wie man darüber hinaus denken kann. Beim Klima-Aktivismus geht es um die Erkenntnis, dass der Planet selbst oder dessen Ressourcen als Eigentum wahrgenommen werden und dass sogar bis heute die vorherrschenden Lösungsvorschläge darauf abzielen, die Idee des Eigentums weiter in den Vordergrund zu rücken, den Emissionshandel zu fördern oder Märkte dafür zu schaffen und so weiter. In der Klima-Bewegung ist es indes mittlerweile allgemeiner Konsens, das Eigentum ein Hindernis und keine Lösung ist. Wenn man über Liebe zur Welt spricht oder darüber, was es bedeutet, der Welt gegenüber Liebe zu empfinden, dann denke ich, dass die Vorstellung einer Liebe zur Welt, die nicht auf Eigentum basiert, eine sehr reale und treibende Kraft ist. Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen, wie ich zu diesem Thema kam, denke ich, dass es bei mir in erster Linie über den Weg des Aktivismus verlief. Nach meiner Erfahrung verstehen insbesondere jüngere Aktivist*innen die Liebe unmittelbar als ihre treibende Kraft. Ich wollte daher herausfinden, was dieses gemeinschaftliche Gefühl ist. Also die Art und Weise, wie wir durch politisches Handeln verändert werden, wie wir Bindungen und politisches Handeln schaffen und wir diese beiden Erfahrungsbereiche als Voraussetzung für die Welt begreifen, die wir gestalten wollen.

Dies lässt auch daran denken, wie Künstler*innen, die sich aktivistisch engagieren, heute Veränderung bewirken. Zunehmend agieren Künstler*innen nicht mehr alleine, sondern in Kollektiven, weil es möglich ist, gemeinsam vielstimmige, multiperspektivische Projekte zu entwickeln. Der Künstler und ökologische Aktivist Joseph Beuys behauptete, dass die Gesellschaft selbst ein Kunstwerk ist und dass wir als Mitglieder einer Gesellschaft alle an der Gestaltung dieses Kunstwerks beteiligt sind. Das bedeutet aber auch, das wir auch verantwortlich dafür sind, dass es ein Kunstwerk wird, dass uns in seiner Vielfältigkeit alle glücklich macht. Hat dies Entsprechungen zu dem, was Sie unter einer Politik der Liebe verstehen?

Sicher, und ich kann absolut nachvollziehen, wie es Künstler*innen möglich ist, soziale und politische Probleme aus einer anderen Perspektive zu betrachten. In mancher Hinsicht kann nicht nur das Medium, sondern auch die Art des Handelns und Denkens Probleme aufschließen, die aus anderen Perspektiven unlösbar erscheinen. Das klingt für mich völlig schlüssig. Wir haben beide gesagt, wie herausfordernd es ist, mit unseren herkömmlichen Denkweisen über Liebe als ein politisches Konzept nachzudenken. Es ist eine gute Möglichkeit, sich dem Thema anders zu nähern, wie es Künstler*innen tun. Insofern macht dies für mich durchaus Sinn.

Sie sprachen davon, dass Liebe, politische Liebe oder Liebe an sich die Kraft hat, neue Welten zu eröffnen. Das gilt auch für die Kunst. Sie kann einen Dinge wahrnehmen lassen, die man vorher noch nie gesehen und gehört hat. Deshalb denke ich, dass die Kunst über das Feld des politischen Kampfs hinaus ein guter Ausgangspunkt für eine Politik der Liebe ist, wo man den Geist und den Blick für etwas anderes öffnet, für eine Welt, die man so bisher noch nicht erlebt, gesehen oder vernommen hat.

Das ist eine gute Übersetzung des Zitats von Marx, das ich gleich zu Beginn anführte. Wenn er versucht, den Kommunismus als eine Transformation all unserer Organe der Interaktion mit der Welt als eine neue Art der Wahrnehmung, ein neues Fühlen, ein neues Denken zu begreifen, dann ist dies genau das, was Sie hier zu beschreiben suchen. Mir scheint, dass es auf all den verschiedenen Ebenen funktioniert, über die wir diskutiert haben, also in intimen, persönlichen Interaktionen, in sozialen Strukturen, in Kollektiven und so weiter. Dem stimme ich voll und ganz zu und interessiere mich sehr für diesen Aspekt und dieses Potenzial künstlerischer Praxis.

Wir leben in einer Zeit der extremen Spaltungen, in der Kriege und Hass gegen andere Menschen, Gruppen von Menschen oder ganze Nationen betrieben werden. Gibt es an diesem Punkt überhaupt noch Raum für eine Politik der Liebe? Oder ist sie sogar dringlicher denn je, um diese Situation zu verändern?

Ich stimme auf jeden Fall zu, dass eine Politik der Liebe im gegenwärtigen, multidimensionalen Desaster immer wichtiger wird. Aber ich denke, dass eine solche Herangehensweise in eine Sackgasse oder zu einem Missverständnis führen kann. Aus meiner Sicht muss die Weiterführung von Freiheitskämpfen eine Grundlage dafür sein. In ihrem Stattfinden erkennt man, dass sie an einer Politik der Liebe orientiert sind. Die Gefahr, in diesem Zusammenhang nur von Liebe zu sprechen, besteht in der Annahme, dass man all die schrecklichen Dinge, die in der Welt passieren und all die Formen der Unterdrückung einfach dadurch entschärfen könnte, dass man Frieden verkündet. Ich denke, wir müssen kämpfen. Und ich bin nicht der Meinung, dass die Liebe von diesem Kampf ausgeschlossen ist. Ich glaube auch, dass der Diskurs über den Frieden in dieser Hinsicht irreführend sein kann. So oft ist das, was Menschen als Frieden deklarieren, in Wirklichkeit eine Form von Herrschaft und Unterdrückung. Insofern würde ich sagen: Wenn unsere Ziele Liebe und Frieden sind, und das sind sie, dann können sie nur durch Kampf erreicht werden: Aktion, Widerstand, Kampf. Ich meine, es gibt viele Dinge, die bekämpft werden müssen. Und wir können nicht passiv sein.

Denken Sie, dass das Konzept einer Politik der Liebe weiterhin aktiv Veränderung herbeiführen kann?

Fragen Sie doch mal junge Leute auf einer Demonstration, wie sie darüber denken. Ich würde sagen, dass es in ihnen weiterhin sehr lebendig ist. Die Tatsache, dass es in ihnen lebt, ist vielleicht ein Mandat, das wir beherzigen und nach dem wir handeln sollten.

Das Gespräch zwischen Michael Hardt und Belinda Grace Gardner fand am 26. Juni 2024 über Zoom statt.

Dr. Michael Hardt lehrt politische Theorie im Literaturprogramm an der Duke University, Durham, North Carolina. Zusammen mit Antonio Negri ist er Autor der Empire-Trilogie – Empire (2000), Multitude (2004) und Commonwealth (2009), die sich mit den politischen, rechtlichen, ökonomischen und sozialen Aspekten der Globalisierung befasst. Zuletzt ist das Buch The Subversive Seventies (2023) erschienen. Seine Beiträge zur Politik der Liebe erstrecken sich über zwei Dekaden und sind auch Gegenstand der 2014 entstandenen Videoarbeit every day words disappear / Michael Hardt on the politics of love des belgischen Künstlers Johan Grimonprez.