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Du warst als Künstlerin an der Biennale des Friedens beteiligt, die Ende 1985 in Hamburg zeitgleich im Kunsthaus, im Kunstverein und an der Hochschule für bildende Künste (HFBK) startete. Wie kam es dazu?

Im Sommer 1985 gab es kurz vor Ferienbeginn einen internationalen Aufruf auf einem Flyer, der überall in Hamburg verteilt wurde, so auch im von Kunstschaffenden kollektiv organisierten Künstlerhaus Hamburg in der Weidenallee, wo ich damals schon Mitglied war. Der Initiator der Biennale, Robert Filliou, lehrte ja einige Semester als Gastprofessor an der HFBK. Ich hatte die Hochschule schon abgeschlossen, nahm aber dort öfter an seinem Artists-in-Space Project teil. Das war ein offener Workshop, in dem es um mehr Anwesenheit von Künstler*innen im Weltall ging – ein utopischer Vorschlag, aber passend zur Vorstellung, dass aus der Kunst wesentliche Zukunftsvisionen hervorgehen. Meine Hauptlehrer an der HFBK waren KP Brehmer und Georg Jappe. Beide engagierten sich dann auch stark bei der Verwirklichung der Friedensbiennale. Organisiert wurde die Ausstellung vom Kurator, Galeristen und Sammler René Block, der, wie Filliou, enge Verbindungen zur Fluxus-Bewegung hatte und international sehr gut vernetzt war, zusammen mit einer ganzen Truppe von Studierenden und Professor*innen der HFBK und weiterer Künstler*innen

Was hat dich an dem Aufruf interessiert? Welche Vorstellung hattest du von der Biennale, die ja damals zum ersten Mal überhaupt stattfand?

Einerseits fand ich den Zusammenhang mit Fluxus, mit Joseph Beuys und den ganzen Leuten, die damit zusammenhingen, sehr spannend, auch dass es ein so offenes, internationales Projekt war. Die Fluxus-Bewegung war ja sehr interdisziplinär an vielen Orten zwischen Europa und den USA bis nach Japan aktiv. Beuys‘ Zusammenführung von Kunst und Leben und sein erweiterter Kunstbegriff der sozialen Plastik waren für mich zentrale Ideen. Vor allem hat mich das Thema der Biennale angesprochen, da wollte ich unbedingt dabei sein. Ich war damals als Künstlerin noch am Anfang und hatte außerhalb der HFBK noch an keiner größeren Ausstellung teilgenommen, war aber viel am Arbeiten und Ausprobieren. Ich dachte dann den gesamten Sommer über an nichts anderes als: Frieden, Frieden, Frieden, Frieden – was ist Frieden? Es ging ja darum, ein Bild für diese Frage zu entwickeln. Und mein Anspruch war, ein möglichst einfaches, klares Bild dafür zu finden. Aber je länger ich darüber nachdachte, umso schwieriger wurde es.

Wie bist du schließlich auf die zündende Idee für deinen Beitrag gekommen?

Es war ein Tag vor der Deadline und ich war mir sicher, dass ich kein schlüssiges, scharfes Bild für den Frieden finde, das genau den Punkt trifft. Ich weiß noch genau, wie ich etwas deprimiert nachts auf der Bettkante saß und aufgeben wollte. Dann sah ich das Bild plötzlich vor mir: ein Fadenspiel. Es kam direkt aus dem Alltag. Ich hatte Wäsche auf eine rote Leine aufgehängt und für eine andere Arbeit zwei Hände an die Wand gemalt. Da wusste ich: Das ist genau das einfache Bild für das Thema, das ich gesucht hatte. Es ist eine Aufforderung zum Spiel und buchstäblich auch eine Aufforderung zur gemeinsamen Kreation. Und es ist ein Spiel ohne Sieger. Für mich beinhaltet es ein wechselseitiges Geben und Nehmen, das ich mit Frieden verbinde. Die Form des Fadenspiels ist etwas ganz Konkretes für einen Begriff, der zunächst sehr abstrakt ist. Die Aktion, dass zwei oder mehrere Personen wechselseitig einen Faden nehmen und weitergeben, ist eine mehrdimensionale Umformung im Raum, die auch eine prozesshafte, zeitliche Ebene hat. Dem Frieden eine Form geben: Das habe ich ganz wörtlich genommen.

Wie ging es dann weiter?

Am nächsten Morgen – am Tag der Deadline – machte ich gleich ein Modell auf einer Klappkarte. Auf den beiden Seiten der Karte zeichnete ich zwei Hände, zwischen denen Fäden verliefen. Wenn man die Karte öffnete, spannten sie sich. Die schickte ich in einem Din-A4-Briefumschlag los. Man hätte sich auch mit Mail Art, Fax-Botschaften oder Postkarten beteiligen können. Ich erhielt dann tatsächlich eine schriftliche Einladung, dass ich die Arbeit vor Ort aufbauen könnte. Sie hätten die Karte auch als Mail Art annehmen können, aber ich sollte sie im Raum realisieren.

Wie hast Du die Entstehung der Biennale erlebt?

Es war ein tolles Erlebnis! Viele Künstler*innen waren nach Hamburg angereist und arbeiteten gemeinsam am Aufbau der Biennale. Es war eine tolle Atmosphäre mit vielen internationalen Gästen. Aus Hamburg waren neben zahlreichen anderen KP, Tonia Kudrass, Anna Oppermann und Herbert Hossmann dabei. Aus den USA kamen unter anderem Sol LeWitt und Allan Kaprow in die Stadt. Ich habe sehr viele Künstler*innen kennengelernt und schöne Begegnungen gehabt, zum Beispiel mit der Fluxus-Künstlerin Alison Knowles. Sol LeWitt hatte die Idee, an einer Wand einen Kreis zu malen, in den alle Beteiligten auf ihre individuelle Weise eine Linie zeichnen konnten. Ich selbst malte einen Kreis in den Kreis hinein. Der Katalog entstand in kürzester Zeit mit In-situ-Bildern aus der Ausstellung. Auch zur Eröffnung herrschte eine freudige, gelöste Stimmung. Es gab zur Biennale ein umfangreiches Begleitprogramm, darunter ein Konzert in der HFBK. In der Hamburger Kunsthalle fanden Vorträge und Ansprachen von Emmett Williams und anderen statt. Im Grunde wurde in der Friedensbiennale genau das verwirklicht, was ich mit meinem Fadenspiel ausdrücken wollte und als Lösung des Problems sah: Dieses gemeinsame Geben und Nehmen, das sich auch in der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen zeigte.

Die Friedensbiennale war eigentlich, wie der Name schon sagt, längerfristig angelegt?

Ja schon, aber letztlich war sie ein Provisorium, die in ganz wenig Zeit und mit sehr wenig Geld, rund 100.000 Mark aus den Mitteln der Woche der bildenden Kunst, zustande kam. In der Aufbauphase waren viele Künstler*innen da, aber während der einmonatigen Laufzeit sind natürlich diejenigen von außerhalb nicht alle geblieben. Etliche der Protagonist*innen waren leider auch gesundheitlich schon angeschlagen. Robert Filliou erkrankte noch vor Eröffnung schwer und zog sich in ein buddhistisches Kloster in Frankreich zurück. Beuys starb Anfang 1986, Filliou Ende 1987. Es gab insofern eine ziemlich tragische Verkettung von Zusammenhängen, die es schwer machten, das Projekt weiterzuverfolgen, weil einige der zentralen Köpfe fehlten und keine größere Institution daran Interesse hatte, es zu übernehmen. Die Biennale hatte viel mit der Persönlichkeit von Filliou zu tun. Er vertrat schließlich die Ansicht, dass die Künstler*innen im Weltraum sein sollten, weil sie die utopischen Geister waren.

War die Friedensbiennale letztlich Ausdruck einer Utopie?

In der Kunst geht es ja grundsätzlich viel um Utopien. Georg Jappe sagte: „Ohne Utopie säßen wir heute noch ohne Feuer.“ Etwas zu imaginieren, etwas zu entwerfen und damit verbunden auch das Wissen-Wollen, das freie Forschen: Das sind nicht nur künstlerische, sondern auch genuin menschliche Anliegen. Die Kreativität des Menschen und dessen Potenzial basiert auf der Freiheit des Forschens im imaginären Raum und der Fähigkeit, die Imagination weiterzudenken und sich Dinge vorzustellen, die sein könnten. Wir stehen ja heute wieder ganz stark vor der Frage, wohin wir im Sinne der Menschlichkeit und der Menschheit insgesamt gehen wollen. Heute brauchen wir umso mehr Vorstellungskraft, weil wir dabei sind, den roten Faden zu verlieren. Eine zusätzliche Gefahr heute im Vergleich zur Situation 1985 ist die Eroberung des digitalen Raums, in dem die KI zunehmend auch den kreativen Akt übernimmt. Kein Mensch kann heute noch alles überblicken. Der Verlust des Zusammenhangs ist, glaube ich, höchst gefährlich: die Auflösung der Wirklichkeit als greifbarer Handlungsraum. Wenn wir nicht mehr über den Tellerrand schauen können, zerstören wir auch den Zusammenhang. Mir ging es als Künstlerin immer schon darum, Zusammenhänge herstellen und Zusammenhänge zu schützen.

Diesem Wunsch hast du ja auch durch deine Mitwirkung in einem Künstler*innen-Kollektiv über Jahrzehnte hinweg bis heute Gestalt gegeben.

Das hat auch eine ganz praktische Seite. Ich habe mich nie so sehr als Einzelkünstlerin begriffen, sondern eher die gemeinsame Tätigkeit gesehen, nicht in erster Linie an meine Kunst gedacht, sondern an die Kunst. Die Imagination und Phantasie, die künstlerische Tätigkeit an sich, ist zwar auf einen selber begrenzt, aber nie ohne die Sicht nach außen: Die Tätigkeit besteht ja darin, dass Du Kontakt aufnimmst zur Kunst und zur Außenwelt. Um nochmal auf meinen Beitrag zur Biennale zurückzukommen, steckt die Spannung tatsächlich in diesem Faden und in dem Übergang von der Fläche in den Raum, von der Figur zur Abstraktion oder von der einen zur anderen Person im gemeinsamen Zusammenspiel. Die Liebe für das Einfache, Konkrete, für Offenheit und eine gewisse Form von Abstraktion ist bis heute ein Kern meiner künstlerischen Arbeit geblieben. Letztlich ist jede wirksame Kunst eine Aufforderung zum Mitdenken und zur Teilnahme: Teilnehmen heißt ja, du bist ein Teil davon und gibst etwas von Dir und wartest auf eine Resonanz. In dieser Hinsicht war die Friedensbiennale ein wunderbarer Start für mich, gerade auch von ihrer Ausrichtung her. In den vergangenen 40 Jahren habe ich sowohl in meiner künstlerischen Arbeit als auch in meinem sozialen Umfeld versucht, im konkreten sozialen Raum wie im imaginären, künstlerischen Raum Zusammenhänge herzustellen. Es ging mir dabei immer um Anregungen zum Mitdenken und die Erforschung dessen, wie Zusammenwirken funktioniert.

Die Biennale kreiste damals um Visionen dazu, dem Frieden eine Form zu geben. Muss Frieden nicht immer wieder neu gedacht und gestaltet werden?

Frieden ist scheinbar ein Endzustand, nach dem man sich sehnt, wenn es Krieg gibt, und den man für selbstverständlich hält, wenn er vorübergehend zum Alltag geworden ist. Dass der Zustand des friedlichen Zusammenseins immer wieder neu hergestellt werden muss, wird häufig übersehen. Frieden ist ein aktiver Prozess, der unaufhörliche Handlung und Kreation erfordert.

Das Gespräch zwischen Belinda Grace Gardner und Sabine Mohr fand am 29. September 2024 in Hamburg statt.

Sabine Mohr lebt und arbeitet in Hamburg. Sie ist seit 1985 Mitglied des Künstlerhauses Hamburg, aus dem 2003 das Künstler*innenhaus und Abbildungszentrum FRISE in Hamburg hervorging.